Identitätsorientierte Psychotraumatherapie IoPT
Die Anliegenmethode
Sowohl im Gruppensetting als auch in den Einzelsitzungen der von Franz Ruppert entwickelten Anliegenmethode auf dem Hintergrund der Identitätsorientierten Psychotraumatheorie (IoPT) können Menschen lebenslang verdrängte innere Anteile wahrnehmen, fühlen und verstehen lernen. Psychische Anteile, die eine Folge sind von bedrohlichen und verletzenden Beziehungserfahrungen insbesondere aus der frühesten Kindheit, einer Lebensphase höchster Empfindsamkeit und Verletzlichkeit - aber auch aus der Zeit des weiteren Aufwachsens.
Denn wenn ein Kind nicht lernen durfte: Ich bin wie ich bin, und das ist gut so., sondern statt dessen zugunsten unerfüllter Bedürftigkeit und unerlöster psychischer Störungen von Mutter und Vater ein bedingtes Selbstgefühl verinnerlichte: Ich darf nur sein, wenn ich… - führt das zu einer dauerhaften Abspaltung der eigenen Bedürfnisse. Ebenso können transgenerationale Belastungen, die über die Eltern weitergegeben wurden, eine negative Auswirkung auf die Entwicklung des Selbstgefühls und der Identitätssicherheit des Kindes haben. Die Folgen dieser frühen, tagtäglich über lange Zeiträume in der Beziehungsdynamik mit den Eltern gemachten traumatisierenden Erfahrungen, sind im weiteren Verlauf des Lebens oft über Jahrzehnte psychisch und körperlich schmerzhaft und belastend.
Die IoPT-Arbeit unterstützt und vertieft eine Selbsterkenntnis, die die Voraussetzung dafür ist, Veränderungsbereitschaft zu entwickeln und festgefahrene psychische Muster aufzulösen. Das geschieht dadurch, dass man gleichermaßen seine unbewussten Traumaüberlebensstrategien, Identifikationen, Zuschreibungen, sowie seine traumatisierten als auch gesunden Anteile fühlen und verstehen lernen kann. (Detailinformationen zu diesen Begriffen siehe: Identitätsorientierte Psychotraumatheorie IoPT).
Die Selbstbegegnungsprozesse mit der Anliegenmethode geschehen in Resonanz mit anderen Menschen und in Eigenresonanz mit sich selbst. Darüber hinaus ist es auch möglich, eine Selbstbegegnung als Einzelarbeit durchzuführen. Der Schmerz des Abgetrenntseins vom eigenen Ich, d.h. von den eigenen Bedürfnissen und die daraus entstandenen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster werden bewusst. Das ist eine unabdingbare Voraussetzung dafür, wieder identisch mit den eigenen Gefühlen und Impulsen leben zu lernen.
Die Selbstbegegnung mit dem Anliegensatz
Jede Selbstbegegnung beginnt damit, dass ein Mensch eigenverantwortlich in sich ein Anliegen findet. Anliegen meint Herzensangelegenheit, Absicht, Ziel, Wunsch, erhofftes Ergebnis, Fragestellung zu ungelösten Themen. Das Anliegen wird von bewussten wie unbewussten psychischen Vorgängen hervorgebracht.
Das eigene Anliegen besteht immer aus maximal drei Informationseinheiten. Es kann aus drei Worten, aus einer Zeichnung oder einer Kombination von Worten und Zeichnungen bestehen. Es kann auch ein kurzer Satz sein, bei dem wiederum maximal drei einzelne Begriffe unterstrichen sind, die dann das Anliegen zum Ausdruck bringen.
Worauf sich das eigene Anliegen inhaltlich richtet, ist völlig offen. Es kann betreffen:
- unmittelbar die eigene Psyche (Angst, Wut, Sehnsucht, Wollen, Handeln, Impulstreue, Identität…),
- den eigenen Körper (Lebensstil, Krankheitssymptome, Entscheidungen für medizinische Behandlungen…),
- die persönlichen Beziehungen (Partnerschaft, Elternschaft, Freundschaften…),
- das berufliche Dasein (Berufswahl, Geld, Führungsaufgaben, Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen, Entscheidungen mit ökonomischen Folgen…).
Das Anliegen zeigt:
- Den Stand meiner Auseinandersetzung mit mir selbst,
- meine Vorstellungen von meinen Problemen und ihrer Lösung,
- meine psychische Zersplitterung und Aufspaltung,
- meine Trauma-Überlebensstrategien.
In der Selbstbegegnung mit dem eigenen Anliegen unterstützt die nachfolgend beschriebene emotionale Resonanzfähigkeit der teilnehmenden Personen die AnliegeneinbringerInnen, tief beeindruckende und damit gut erinnerbare Erfahrungen zu machen. Bisher abgespaltene Anteile der eigenen Persönlichkeit werden im Verlauf des Therapieprozesses immer weitergehender heilsam integriert.
Was in der Selbstbegegnung wirkt - Bindung und Resonanz
In den Selbstbegegnungen zwischen Anliegeneinbringer und Resonanzgebern, wird vor allem unser verinnerlichtes, weitgehend unbewusst arbeitendes psychisches Bindungssystem zugänglich. Bindung wird als von Natur aus vorhandenes, überlebenswichtiges Verhaltensmuster definiert, dass die emotionalen Beziehungen zwischen Menschen beschreibt. In der individuellen Entwicklungsgeschichte eines jeden Menschen spielt die Qualität der Bindung insbesondere zur Mutter eine überragende Rolle.
Abhängig davon, wie dieses natürliche Grundbedürfnis in der Kindheit erfüllt wurde, steht Menschen mehr oder weniger im Verlauf ihres Lebens ein Bindungsverhalten zur Verfügung, durch das sie ihre eigenen zwischenmenschlichen Beziehungen aufnehmen, gestalten und festigen können.
Wir nehmen uns im Kontakt mit anderen Menschen nicht nur über an uns gerichtete, bewusste kommunikative Inhalte wahr - also vor allem sprachliche Äußerungen - sondern auch durch die Übertragung von Körpergefühlen in Form von Mimik, Blicken, Gesten, Körperhaltung und Stimmlage. Das nennt man die Körpersprache. Es gibt darüber hinaus komplexe psychische Inhalte wie Emotionen (Freude, Überraschung, Traurigkeit, Angst, Ekel, Wut), sowie Handlungen und Absichten, die unbewusst übermittelt werden und deren Bedeutung sich intuitiv erschließt.
Eine große Rolle für all diese Resonanzphänomene spielen im Gehirn hierbei die sogenannten Spiegelneurone, die im Verlauf unseres Aufwachsens für die Entwicklung unseres Selbstgefühls und Mitgefühls ausserordentlich wichtig sind. Vereinfacht dargestellt ermöglichen die Funktionen dieser Gehirnstrukturen die mehr oder weniger bewusste, intuitive Wahrnehmung des Zustandes eines anderen Menschen, mit dem man in Kontakt geht. Das bedeutet auch, dass man spontan und unwillkürlich die Gefühlslage eines Gegenübers spiegeln kann. Diese Fähigkeit ist unabhängig davon, ob wir unseren analytischen Verstand benutzen. In dem wir dergestalt die Handlungsabsichten, Empfindungen und Gefühle eines anderen Menschen selbst in uns spüren, gewinnen wir ein spontanes, intuitives Verstehen dessen, was den anderen bewegt.
Wir kommen in jeder zwischenmenschlichen Begegnung also miteinander in Resonanz, was ja in der Musik und der Physik als mitschwingen/mittönen definiert ist. Im System der Spiegelneurone begegnen sich die Vorstellungen, die wir von uns selbst haben, und die Bilder, die wir uns von anderen machen. Spiegelnervenzellen sind das neuronale Format, mit dem wir sowohl uns selbst als auch andere Personen wahrnehmen beziehungsweise als Vorstellung abbilden. (Lit.: Joachim Bauer - Warum ich fühle, was du fühlst / Intuitive Kommunikation und das Geheimnis der Spiegelneuronen, 2005).
Diese Fähigkeit zu emotionalem Verständnis und Empathie, die jeder Mensch naturgegeben in sich trägt, ermöglicht in der Selbstbegegnung nach der IoPT-Methode die heilsamen Resonanzprozesse. Denn: „... an einem interpersonellen Resonanzgeschehen beteiligte Parteien (Menschen) verändern sich nicht nur psychisch, also in ihrer Gestimmtheit, sondern auch neurobiologisch: Jedes innere Gefühl – sei es Freude, Schmerz, Angst, Ärger oder Ekel – entwickelt sich, weil im Gehirn bestimmte neuronale Netzwerke zeitgleich aktiv geworden sind. Nehme ich wahr, wie ein Mensch, der sich in meiner Nähe befindet, ein bestimmtes Gefühl erlebt, kommt es nicht nur in seinem, sondern auch in meinem Gehirn zu einer Aktivierung der zu diesem Gefühl gehörenden Netzwerke. Die Gegenwart anderer kann daher, ohne dass uns das bewusst ist, unser Gehirn verändern.“ (Lit.: Joachim Bauer - Wie wir werden, wer wir wir sind / Die Entstehung des menschlichen Selbst durch Resonanz, S.24, 2018)
Wie sehr unsere natürliche Resonanz aufeinander eine Sprache des Herzens und der Liebe ist, zeigt diese völlig unwillkürliche, tief berührte - und berührende - Reaktion eines sehr kleinen Jungen, der zum esten mal sein neugeborenes Geschwisterchen im Arm hält! (Zum Abspielen des Videos bitte den Cursor auf das Bild ziehen, dann wird das Startsymbol angezeigt.)