Angst
In der frühesten und frühen Kindheit sind wir Menschen sehr abhängig, offen und verletzlich. Für eine gesunde Entwicklung ist insbesondere eine gelingende symbiotische Erfahrung mit einer liebevollen Mutter und die Befriedigung der natürlichen Bedürfnisse im körperlichen Kontakt und durch ausreichend langes gestillt werden unabdingbar. Ebenso wichtig ist es, im Verlauf des Aufwachsens Respekt und Unterstützung für die zunehmende Selbstständigkeit zu erfahren und mit dem eigenen Fühlen und Denken willkommen zu sein.
Wo die persönlichen Begrenzungen in der Beziehungsfähigkeit der Eltern und des sozialen Umfeldes dem im Weg stehen, sind tiefe Erlebnisse von abgelehnt oder ausgeschlossen sein unvermeidlich – oft über lange Zeiträume im familiären Alltag. Was dann als Normalität im gewohnten Miteinander das eigene Erleben in primären Beziehungen prägt, geht immer auch einher mit dem Fühlen von Angst.
Angst (angustia lat., die Enge) ist ein körperlich hoch intensiver Zustand, eine Stressreaktion, die sich als Folge einer bedrohlichen Erfahrung einstellt und mit schwierigen Gefühlen von Hilflosigkeit, Alleingelassen sein und Ohnmacht verbunden ist. Angstreaktionen bewirken im Körper muskuläre Kontraktionen, flachen Atem, Veränderungen im Stoffwechsel und können zu einer Einengung der Wahrnehmung führen. Alles das dient dazu, nicht von überforderndem Schmerz überwältigt zu werden, der psychisch nicht verarbeitet und integriert werden kann. Wenn diese körperlichen Reaktionen in das eigene Verhalten gewohnheitsmäßig eingebaut wurden, um die immer wiederkehrenden Angst auslösenden Beziehungserfahrungen zu bewältigen, entstehen Reaktionsmuster, die auch in der Gegenwart des erwachsen gewordenen Menschen unwillkürlich und reflexartig auftauchen, sobald vergleichbare Reize in zwischenmenschlichen Kontakten im Jetzt erlebt werden. Die unbewussten Ängste aus der Vergangenheit bestimmen dann das Erleben und den Umgang im Miteinander. Das, was in der Kindheit einen sinnvollen Schutz darstellte, ist aber heute oft völlig unangebracht und verhindert unmittelbare, angemessene und befriedigende Begegnungen mit anderen Menschen.
Die Angstkonditionierung verzerrt also immer wieder die aktuelle Wahrnehmung. Wo abhängige Kinder ohnmächtig ausgeliefert sind, haben Erwachsene eigentlich ganz andere Entscheidungsmöglichkeiten in sozialen Interaktionen. Diese reichen von freier Wahl des Kommunikationsabbruches bis zu vollständigem, sich liebend Einlassen, mit all den Zwischentönen, zu denen wir in Beziehungen fähig sind! Es geht daher immer wieder darum - verliere ich mich in schwierigen Situationen in meinen Reaktionsmustern, oder erprobe ich neue und angemessene Verhaltensweisen, die einen befriedigenden und konstruktiven Umgang mit anderen im Jetzt erlauben.
Eine unerlässliche Voraussetzung, neben dem Verstehen der persönlichen Reaktionsmuster, für das (Wieder-) Erlernen dieser Entscheidungsfähigkeit, ist die Durchlässigkeit für die eigenen Körperempfindungen. D.h., Gefühle und die diesbzgl. angemessenen, natürlichen Reaktionsweisen im zwischenmenschlichen Kontakt nicht mehr zu vermeiden. Im Zulassen und Ausdrücken aller möglichen emotionalen Regungen, seien es die schwierigen, aber auch die freudvollen -jetzt in einem wohlgesonnenen Beziehungsfeld- kann im günstigen Fall das (wieder) weit werden, was in den konditionierten Mustern und Haltungen als eine normale Enge vertraut geworden ist. Vollständigkeit ist da möglich, wo nichts ausgeschlossen wird.